13.12.2019

So kämpfen Flüchtlinge im Nordirak gegen Hunger und Kälte

Wenn es Nacht wird in den Flüchtlingscamps Bardarash und Gavilan im Norden der Autonomen Region Kurdistan , frieren Nadira und Fatma.Die Schwestern, sie sind drei und vier Jahre alt, wissen nicht, dass sie ihre Heimat in Syrien verloren haben. Sie wissen nur: In den kaum isolierten Flüchtlingszelten, in denen sie leben müssen, wird es kalt.

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„Allein im Camp Gavilan, in dem 510 Familien mit 3000 Menschen leben, fehlen noch 270 Matten, wir brauchen sie dringend.“
- Thomas Shairzid, Irak-Beauftragter der Caritas-Flüchtlingshilfe Essen

Richtig kalt: Das Thermometer zeigt drei Grad, Tendenz fallend. Die 18 000 weiteren Flüchtlinge und die Mutter der beiden kleinen Mädchen versuchen, sich gegen die Kälte zu schützen und legen auf den nackten Betonboden Isoliermatten oder Teppichboden. Hier hilft die Caritas-Flüchtlingshilfe Essen, Partner der Weihnachtsspendenaktion „Helfen bringt Freude“ der „Schwäbischen Zeitung“:

„150 Matten haben wir bereits im Camp Bardarash und im benachbarten Camp Gavilan ausgegeben“, sagt Thomas Shairzid, Irak-Beauftragter der Caritas-Flüchtlingshilfe Essen, „aber allein im Camp Gavilan, in dem 510 Familien mit 3000 Menschen leben, fehlen noch 270 Matten, wir brauchen sie dringend.“

75 Euro kostet eine wirksame Isolierung für das ganze Zelt, gut 20 000 Euro benötigen die ehrenamtlich tätigen Helfer als Soforthilfe. Shairzid zählt auf die Spendenbereitschaft der Leserinnen und Leser: „Die Menschen hier brauchen Ihre Unterstützung dringend – und der Winter hat noch gar nicht richtig begonnen!“

Neben Isomatten werden auch Petroleum, Lebensmittel und Heizgeräte benötigt.

Keine Winterkleidung eingepackt

Zehntausende syrische Kurden wie die Familie von Nadira und Fatma haben sich seit Beginn der türkischen Offensive im Norden Syriens im Oktober auf den Weg gemacht, haben sich Schleppern anvertraut, die sie über die syrisch-irakische Grenze brachten. Sie haben nun in der Provinz Dohuk im Norden Kurdistans Aufnahme gefunden, die meisten in den Flüchtlingscamps Bardarash und Gavilan.

Als sie in Syrien aufgebrochen sind, herrschten sommerliche Temperaturen, viele der Flüchtlinge haben in der Hektik damals keine Winterkleidung eingepackt.

Bald sei der Krieg zu Ende, nahmen sie an. Ein Irrtum, wie sich zeigte. Häufig fehlen in den Familien auch die Väter, die im syrischen Bürgerkrieg ums Leben gekommen sind: In beinahe jeder dritten Familie ist nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) eine Frau das Familienoberhaupt.

Die Türkei hatte am 9. Oktober in Syrien einen Einsatz gegen die Kurdenmiliz YPG begonnen, die sie als Terrororganisation betrachtet. Eine mit den USA und Russland vereinbarte Waffenruhe hatte im Oktober zu einer Unterbrechung der Kämpfe geführt. Die Türkei und Russland als Schutzmacht Syriens verständigten sich dann darauf, das Grenzgebiet nach einem Abzug der Kurden gemeinsam zu kontrollieren.

Camp Bardarash wurde für syrische Flüchtlinge reaktiviert

Das Camp Bardarash gab es 2014 schon einmal, um Menschen aufzunehmen, die damals aus der irakischen Stadt Mossul geflohen waren, nachdem diese dem IS in die Hände gefallen war. Mossul galt als eine Machtbasis des IS, zwischen 2016 und 2017 war die Stadt stark umkämpft.

Als nach der Rückeroberung der Stadt alle Menschen aus Mossul das Lager verlassen hatten, wurde es geschlossen.

Im Oktober musste es reaktiviert werden, Teams der kurdischen Flüchtlingsbehörde BRHA reparierten Latrinen und Duschen, stellten die Trinkwasserversorgung wieder her. Ein medizinisches Team beobachtet zudem die gesundheitliche Situation, um auf dringende Bedürfnisse reagieren zu können. Neben der Kälte könnte Hunger zum Problem werden: Gerade zwei Dollar für Lebensmittel pro Woche und Person kann die UNHCR verteilen.

„Jeden Tag treffen 40 oder 50 weitere Flüchtlinge in den Camps Bardarash und Gavilan ein“, sagt Thomas Shairzid, der in diesen Tagen wieder in der Region unterwegs ist, um die Hilfe zu organisieren. Er weiß: Für den Nordirak könnte die dauerhafte Anwesenheit der Gäste aus Syrien zu einem Problem werden. Allein in der Provinz Dohuk gibt es 600 000 Vertriebene in 22 Camps, die meisten waren einst vor den Gräueltaten der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) geflohen.

Niemand rechnet mit einer schnellen politischen Lösung: „Sie werden vermutlich lange bleiben“, sagt Campleiter Nahman Karzan , „in Syrien gibt es keine Sicherheit mehr.“

Im Irak rumort es, viele Tote und Verletzte

Auch im Irak rumort es, seit Anfang Oktober gibt es in mehreren Teilen des Landes Massenproteste gegen die politische Führung. Dabei kamen nach offiziellen Angaben mindestens 380 Menschen ums Leben, inoffizielle Quellen sprechen von 1000 Toten und 20 000 Verletzten. Menschenrechtsgruppen werfen den Behörden vor, mit übermäßiger Gewalt gegen die Protestler vorgegangen zu sein.

Der Nordirak wirkt zwar ruhiger als der Rest des Landes, doch nach Einschätzung von Experten könnten die Konflikte auch hier jederzeit offen ausbrechen. „Darum ist es wichtig, dass wir Hilfe von außen bekommen“, bittet auch Gouverneur Farhad Ameen Atrushi.

Die Kurden aus Syrien wie jene Familie der beiden Schwestern Nadira und Fatma bezeichnet Atrushi als Gäste: „Wir haben überhaupt kein menschliches Problem mit ihnen, wir haben ein Budgetproblem, das wir mithilfe der Leser der ,Schwäbischen Zeitung’ zwar nicht lösen, aber lindern können!“